Mein Volk, was bist Du?…VIII.

18 Mai

Carl_Schmitt_als_Student_1912

                                                                             Carl Schmitt

Die „Sezession im Netz“ hat kürzlich einen Gastbeitrag Thor von Waldsteins zum Begriff „Volk“ veröffentlicht, der leider wegen der zeitlich kurzen Öffnung der Kommentarspalte nicht besonders intensiv begleitet wurde. Das möchte ich in einer Artikelfolge nachholen, die hier begonnen hat, und dabei seine 20 Thesen durch Kritik und Bearbeitung metapolitisch möglichst schlagkräftig machen.

Thor von Waldsteins These Nr. 1„Volk ist eine metaphysische Kraft, ein lebendiges Wir-Ich, ein Werdewesen, das – unabhängig von Staat und Individuum – ein ursprüngliches Lebensrecht besitzt und und einen selbständigen Anspruch auf Würde erhebt.“

Da die Thesen nicht näher begründet sind, kann nur der Wortlaut zur Bewertung herangezogen werden und zugleich vom offensichtlich nach der Lebenserfahrung Gemeinten ausgegangen werden, wobei ein philosophischer Hintergrund hinzukommt. „Metaphysische Kraft“ ist unter II. bearbeitet, der Begriff  „lebendiges Wir-Ich“ unter III. , „Werdewesen“ unter IV. Dann ging es unter V. um „ein Werdewesen, das – unabhängig von Staat und Individuum – ein ursprüngliches Lebensrecht besitzt“. Unter VI wurde geprüft, ob ein Volk „einen selbständigen Anspruch auf Würde erhebt,“ wie Thor von Waldstein meint. Zuletzt wurde hier Thor von Waldsteins These Nr. 2 bearbeitet, die lautet: „Volk ist eine gewachsene Gesamtpersönlichkeit, die von einem Volksgeist ( Herder ) bestimmt ist und als „lebendig leiblicher ausdruck einer gesamt-seele“ ( Karl Wolfskehl ) Gestalt annimmt. Diese geistige Verfaßtheit und dieses seelische Widerstandskraft sind es, die ein Volk im Innern zusammenhalten.“

Jetzt geht es um These Nr. 3: „In den Wechselfällen der Geschichte kann ein Volk nach außen nur Bestand haben, wenn es eine politische Einheit verkörpert. Diese politische Einheit hält Belastungen nur stand, wenn das Volk in Form gehalten wird von synergetischen Elementen, mit denen die griechische Antike den Terminus ethnos und die Staatslehren von Hermann Heller und Carl Schmitt den Begriff Homogenität verbanden. Dessen entscheidende politische Potenz verdichtet sich – unbeschadet der im einzelnen noch zu beschreibenden (s. Ziff. 4) Wesensmerkmale – klassisch in der nicht zufällig angelsächsischen und ganz unwissenschaftlichen Formel: »It goes without saying“

Mit „nach außen“ meint Thor von Waldstein wohl, um eine Metapher zu gebrauchen, wie bei einer Zelle mit schützender Zellmembran, das direkt anschließend Liegende. Also Volk neben Volk. Ein klares „Außen“ gibt es da in den seltensten Fällen. Das deutsche Volk beispielsweise ist erst seit 1945 einigermaßen durch Zusammendrängen infolge Niederlage und Vertreibung am Rand liegender Volksteile als „innen“ gegenüber anderen „außen“ als abgegrenzt anzusehen. Immer noch aber gibt es deutsche Sprach- und Kulturinseln außerhalb des Hauptteils des deutschen Volkes wie z.B. in Siebenbürgen oder den annektierten deutschen Ostgebieten. Das deutsche Volk verkörpert also zumindest seit 1945 eben gerade nicht insgesamt eine politische Einheit, wie Thor von Waldstein meint. Dem heutigen deutschen Volk mangelt es zusätzlich, ja entscheidend bereits jetzt wegen seiner Durchmischung mit Menschen aus weit mehr als 100 Nationen am Grunderfordernis für die politische Einheitsbildung. Es ist in vielen Gegenden, Städten und Gemeinden längst nicht mehr homogen deutsch. Weitgehende Homogenität war zumindest bis vor kurzer Zeit jedoch unabdingbar für eine deutsche politische Verfassungsordnung auf demokratischer Grundlage. Seitdem der Gesetzgeber das „ius sanguinis“, das Blutsrecht für die Bestimmung des „Deutschen“, das Bundesverfassungsgericht zusätzlich den Homogenitätsbegriff verworfen hat, kann das Volk eine politische Einheitsbildung von vorneherein nicht mehr verkörpern. Ist das ein Mangel oder für uns ein Hindernis? Ich sehe ein Weder – noch. Da Thor von Waldstein in einer späteren These vom ständigen Wandel des Volkes spricht, zugleich auch von gleichsam unwandelbarer Grundsubstanz, ist es für das Weiterleben eines Volkes viel zu unsicher, wenn die nötige politische Einheit von Imponderabilien abhängt, die von außen und von innen her unkalkulierbar einwirken können.

Zwei weltgeschichtlich bedeutsame Systeme sind bereits daran gescheitert, das Volk oder einen Teil des Volkes als Verkörperung politischer Einheitsbildung zu betrachten. Der Nationalsozialismus versuchte, das Volk als die Verkörperung politisch- weltanschaulicher Einheitsbildung im Wert noch vor dem Staat zu positionieren, der marxistische Sozialismus den Volksteil „Klasse“, wobei beide Systeme, das zweite mehr als das erstere, zum Totalitarismus entarteten und an ihrem selbst gesetzten Anspruch untergingen, der Nationalsozialismus erst nach einem gigantischen militärischen Ringen.

Es bedeutet keinen Mangel, wenn „Volk“ ohne Verkörperung politischer Einheit existiert, das Fehlen der Verkörperung stellt auch kein Hindernis für sein Überleben dar. Denn so kann die Vielzahl der Volksglieder, der Individuen, lagegemäß die erforderliche Einheit zu verwirklichen suchen. Aus echter Souveränität heraus können aus der Mitte des Volkes Werkzeuge bereitgelegt werden zum Bau des Hauses „Volk im Staat“. Der Staat ist die Organisationsform des Volkes und sollte das Wesen der Individuen und der Großgruppe möglichst wesensgetreu ohne Gegensätzlichkeit widerspiegeln, damit der Souveränität des Volkes Ausdruck gegeben werden kann. Insofern ist der Staat Volksstaat. Er soll nicht die organisatorische Ordnung irgendeiner ethnisch und geschichtlich, vor allem evolutionsentwickelt nicht unterschiedenen Gruppe von Menschen, nicht die äußere Zusammenfassung irgendwelcher beliebiger Menschen in bloßer Gesellschaftsform, sondern die Einfügung alles aufgrund Entwicklung und Art einheitlichen und geschichtlich geprägten Daseins und Lebens in eine zusammenschließende und beisammen haltende Ordnung aus Staatsvolk, Staatsgebiet und Hoheitsausübungsmacht sein. Dabei muss eine Allmacht des Staates durch ein unabhängiges Rechtssystem und von ihm getrennte Gesetzgebungsgewalt-aus dem Souverän gebildet- verhindert werden. Alles entscheidend sind lebendiges menschliches Schöpfertum in Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Moral, Erziehung und wirtschaftlicher Betätigung in innerer Verbundenheit zu Volk und Staat.

Der Bezug Thor von Waldsteins auf Hermann Heller und Carl Schmitt geht insofern fehl, als in der Jetztzeit sowohl Ethnizität als auch Homogenität nicht mehr unangefochten sind und real existieren. Irgendein „Selbstverständlichsein ohne Worte und Zutun“ gibt es in unserer Lage der Auflösung aller Dinge nicht mehr. Gerade auch der Staat befindet sich zunehmend in Auflösung, wird zugleich durch Landfremde infiltriert. Es ist durchaus nicht unrealistisch anzunehmen, dass der Staat durch Abgabe von Hoheitsrechten und Unterwanderung in überschaubarer Zeit derart geschwächt oder sogar zerstört wird, dass wir mit Hilfe des verbleibenden Föderalismus auf kleinere staatliche Formen wie die Bundesländer, Städte und Gemeinden ausweichen müssen, im Extremfalle überlebensrettende autonome  Kleinorganisationen gründen müssen. Als Letztes verbleibt ein Rückzug in deutsche Restgebiete oder ein Siedeln in Absprache mit benachbarten Ländern oder Regionen, bevorzugt in die annektierten deutschen Ostgebiete.

Weiter geht es unter VIII mit Thor von Waldsteins These Nr. 4.

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